Freitag, 14.10.2016
Ein ganz normales Konzert wird es werden. Dachten wir.
Aber was ist schon normal?
Wir sangen in einer Stadthalle in Inagi, einer Stadt mit 80.000 Einwohnern, westlich von Tokyo. Ein Frauenchor und ein Harmonikaorchester standen mit auf dem Programm. Das Orchester spielte zur Einstimmung. Deutsche Marschmusik, Walzer und Marschmusik. Zwei Frauenchöre sangen japanische Lieder. Geschätzt waren die Jüngsten auf der Bühne und im Publikum achtundsechzig Jahre alt. Wo sind wir hier? Und was tun wir hier?
Nächster Programmteil war die Augustinerkantorei. Wollen die Leute hier wirklich unsere Musik hören? Sie wollten. Und wir sangen. Mendelsohn, Reger, Bach.
In der Pause erfuhr ich: In Inagi leben viele Menschen im Rentenalter. Ihnen fehlt die Anerkennung und ein Zeitvertreib. Also singen und musizieren sie. Früher gab es hier Cafés, in denen man sich traf, Tee trank und gemeinsam sang. Es soll wohl sogar Liederbücher dort gegeben haben. Die gibt es heute nicht mehr. Eine gemeinnützige Organisation bietet dafür Chöre und Ähnliches an. Einmal im Jahr findet ein Festival statt. Da waren wir nun.
Nach der Pause gab es ein Folkloreprogramm. Es wurde im Karaoke-Stil gesungen, getrommelt und Frauen in Kimonos tanzten. Zwei lange Stunden saßen wir da, klatschten und, ich gestehe, sehnten das Ende herbei. Aber nach dem Ende war es noch nicht vorbei.
Wir waren eingeladen zu einer kleinen Party. Also bleiben und lächeln.
Freundlich gedeckte Tische erwarteten uns. Dieselben, die vorher noch auf der Bühne standen, wuselten herum, uns zu bewirten. Hier wirkten sie in ihrem Element. Zur Begrüßung wurden uns Papierkraniche überreicht. Die Schirmherrin hielt in ihrer kurzen Rede einen extra großen Papierkranich als Zeichen des Friedens hoch. Wir erlebten ehrliche Gastfreundschaft und stolze Menschen. Einige unter uns konnten sich in einen Kimono kleiden lassen. In einer Ecke fand eine authentische Teezermonie statt. Leise, unauffällig und doch sehr würdevoll. Irgendwann begannen die japanischen Frauen zu singen. Das Heideröslein und andere deutsche Volkslieder. Wir antworteten darauf mit den japanischen Liedern, die wir geübt hatten. Am Schluss sangen wir zusammen alle Lieder, die wir gemeinsam kannten hoch und runter. Aus vollen Kehlen und tiefen Herzen.
Das lange Ausharren entschädigte uns. Und wir haben gelernt: Reformieren fängt mit dem eigenen Blick an. Ein offener Blick auf die Menschen, die wir sonst nicht sehen, beschenkt uns, stiftet Frieden.
Text: Dorothea Kunz
Fotos: Christiane Claus