Eine Studienreise nach Japan kann man Architekten immer empfehlen.

Sonntag, 09.10.2016

Eine Studienreise nach Japan kann man Architekten immer empfehlen. Die Anregungen für das innerstädtische Bauen wären überaus vielfältig. Wie gelingt es, die maximale Anzahl von Gebäuden auf kleinstem Raum unterzubringen? Beachten Sie dabei auch, möglichst verschiedene Stile und Materialien einzusetzen. Farben sollten durchaus sparsam verwendet werden.

Die Wirkung der Bauten beruht allein auf ihrer wilden Anordnung sowie der Umsetzung auch der letzten abgefahrenen Idee. Und Vorsicht – das Abreißen von Gebäuden zum Zwecke der Platzgewinnung ist streng untersagt.

So oder ähnlich könnten die Leitlinien für die japanischen Städtebauer gewesen sein – falls es denn welche gegeben hat. Von einem Aussichtsturm betrachtet, wirken die Städte der Kansai-Region, zu denen auch Osaka, Kobe und Kyoto zählen, wie eine Ansammlung verschieden geformter Pappkartons aller Größen, die jemand mit Schere und Kleber gestaltet und dicht aneinander gedrängt aufgestellt hat.

Ein bißchen Wasser dazu, ein paar Bäume – fertig! img_0014

Die Pappkartons reichen nicht nur für eine Stadt, Platz aber gibt es wenig.
So können wir bei unseren Fahrten durchs Land nur an den Namen der Bahnstationen erkennen, wo eine Stadt endet und eine neue beginnt. Alles geht ineinander über. Bei genauerem Hinsehen eröffnen sich wie bei einem Wimmelbuch immer neue Blicke.

Man findet hohe und höchste Gebäude, Bürobauten und Aussichtstürme, winzige Wohnhäuser, die an Großbauten angeklebt scheinen. Die Abstände zwischen den Häusern erreichen oft kaum Armeslänge und doch findet sich immer wieder eine Lücke, eine freie Ecke, um noch einen Mini-Tempel oder einen Schrein unterzubringen. Ein eckiges Hochhaus mit einem spitzen Giebeldach vor der Silhouette der Berge; zwei Hochhaustürme auf einer gemeinsamen Basis, auf der wiederum eine Kirche wie eingerahmt steht. Ganz unten eine Eisenbahnlinie, direkt daneben ein Flecken Grün mit einem kleinen Holzhaus, das aus der Schweiz importiert sein muß.
Zwischen hoch aufstrebenden Wänden und einer Schnellstraße -auf einer Fläche von Wohnzimmergröße- ein Friedhof, dessen Grabsteine ebenfalls wie Hochhäuser – in Miniaturform – aussehen. Futuristisch anmutende Gebäude mit spiegelnden Fassaden, einzelne Teile davon mit schrägen Röhren verbunden, in denen Rolltreppen verlaufen; kühne Schwünge und weit ausladende Gebäudeteile; runde, spitze, sich wellende Formen, Autobahnabschnitte, die sich kreisend in drei Ebenen umeinander herum winden – jede noch so ungewöhnliche Idee scheint hier umgesetzt.

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Japan besteht aus Inseln und Inseln sind bekanntlich von Wasser umgeben. Wo aber ist das Wasser, wo ist das Meer? Seit unserem Anflug auf Osaka vor einigen Tagen haben wir das Meer nicht mehr gesehen. Auf der Suche danach eilen wir durch Kobe, das einen der weltgrößten Industriehäfen besaß, zumindest bis zum schweren Erdbeben von 1995.

Zusammenbleiben! Zügig gehen! Orientieren! Das sind unsere inneren Mantras, die uns bei all unseren Ausflügen begleiten, sogar jetzt als relativ kleine Gruppe mit kaum zehn Menschen. Von der früh einsetzenden Dunkelheit „bedroht“, legen wir endlos scheinende Wege zurück. Nur an den Ampelübergängen der breiten Straßen, auf denen unermüdlich und fast pausenlos der Autoverkehr rollt, sind uns kurze Pausen vergönnt. Dabei wollen uns unsere, vom langen Tag mit Kirchen-Konzert (und auch mit Sake-Verkostung im Brauereimuseum ;-)), ermüdeten Füße bald nicht mehr tragen. Endlich zeichnet sich die imposante Silhouette des Kobe-Port-Tower am langsam dunkler werdenden Himmel ab. Die Seele des Turms wird von waagerecht angeordneten Ringen umhüllt, die durch senkrechte und V-förmige Stäbe miteinander verbunden sind. Vor dem inzwischen dunkelblauen Himmel leuchten Stäbe und Ringe neonrot und betonen die schöne, in der Mitte schlankere, Kelchform dieses architektonischen Meisterwerkes. Unsere Fotoapparate klicken.

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Zu Füßen des Turms liegt das Meeresmuseum, das mit einer streichholzartigen Konstruktion die Blicke auf sich zieht. Dünne weiße, einander vielfach kreuzende, Stäbe in Form einer Haifischflosse zerteilen den Himmel. Zusammen bilden die Flosse, die Fassade eines Hotels gleich dahinter und eine Kirche daneben ein Konglomerat aus völlig verschiedenen Architekturstilen- ein toller Anblick. Wieder klicken unsere Fotoapparate.

Und nun sind wir auch am Hafenbecken angelangt. Endlich bekommen wir wenigstens einen kleinen Eindruck vom Meer. Wasser plätschert an die Betonwand des Beckens, ein leiser Wind weht und – es riecht nach Meer. Ein beleuchtetes Riesenrad wechselt im Sekundentakt seine Farbe, das Hotel Oriental wölbt sich wie ein riesiger weißer Buckel am Beckenrand. img_2114img_0246img_0261

Bis zum schweren Erdbeben vom 17. Januar 1995 galt der Hafen von Kobe als der umschlagstärkste (Nicht-Öl-)Industriehafen der Welt. Das nur 20 Sekunden währende Beben richtete schwerste Verwüstungen an. 4571 Menschen(andere Quellen sprechen von ca. 6000) verloren ihr Leben, häufig auch durch die in Folge des Bebens entstandenen Brände. An der Uferpromenade finden wir etwas versteckt eine Gedenkstätte mit großformatigen Fotos des Hafens.

Texte und Videos in japanischer und englischer Sprache informieren uns über die Blüte-Zeit des Hafens vor und Zerstörungen und Wiederaufbau nach dem Beben. In einer Vitrine ist eine mehrere Zentimeter dicke Schraube aus der Verankerung eines Krans zu sehen, der durch seinen Einsturz dominoeffektartig weitere Zerstörungen im Hafen anrichtete. Das vermittelt uns eine Ahnung davon, welche Kräfte bei diesem Beben wirkten, das auf einer 1949 eingeführten Intensitätsskala als erstes den Endwert der Skala (7) erreichte. In dem kleinen Abschnitt des Hafenbeckens, der zur Gedenkstätte gehört, stehen seitdem schief einige Straßenlaternen und neigen sich dem Wasser zu… Nie wieder werden sie leuchten.