Gedanken von Martin Borowsky
„Real People, honest talk“, so beschreibt uns Regionalbischof Toby ein Programm in Bradford, bei dem Menschen im geschützten Raum der Kirche frei reden können sollen.
„Honest talk“ tut not, in einer aktuell von Missbrauchsskandalen geschüttelten Kirche, die zu einem „safer place“ für Kinder und Jugendliche werden möchte. Der Gottesdienst in der Bradford Cathedral, zu dem wir vor einer Woche singen durften, war diesem „safeguarding“ gewidmet …
Das Programm tut not in einer Stadt, die – einst aufgrund der Textilindustrie wohlhabend – bis vor kurzem im rasanten Niedergang begriffen war, immerhin, der Maler David Hockney wuchs hier auf, ein Sinkflug mit „Rassenunruhen“ (2011 zur Weihe von Bishop Nick sah ich noch Brandspuren), mit einer harten, brutalisierten City, mit der höchsten Mordrate landesweit, und mit immensen Brachflächen sowie Verfall; hier ist mittlerweile eine Wende zum Besseren eingetreten, durch städtebauliche Projekte wie den preisgekrönten City Park oder das restaurierte Musicaltheater „Alhambra“, unübersehbar das National Science and Media Museum, durch Sozialarbeit, Geld, good will, die Kirche vorne an.
Der Dialog tut not in einer Stadt mit unglaublicher religiöser Vielfalt, die wir auf dem Faith Trail erleben durften, Christen, Moslems, Hindus, Sikhs, wenige Juden, und mit dem wohl höchsten Migrantenanteil in England.
Honest talk, eine aufrechte, offene Rede, auch um dem grassierenden Populismus Einhalt zu gebieten.
Wir treffen eine Kirche an, die „Kirche für andere“ sein möchte, wie sie Dietrich Bonhoeffer anstrebte, der – wie wir entdecken – im November 1933 vor Ort die Bradforder Erklärung initiierte, die sich gegen die drohende „Nazifizierung“ der deutschen Kirche(n) wandte. Eine Tafel an der Deutschen Protestantischen Kirche erinnert daran. Bonhoeffer, der in England sehr präsent ist, wollte „dem Rad in die Speichen greifen“. Ist es ein Zufall, dass uns in dieser Woche immer wieder die Nachrichten um den sächsischen Skandalbischof Rentzing beschäftigen?
Wir treffen in Yorkshire Kirchenräume an, die nicht nur sakral und erhaben wirken, sondern zugleich Teil eines öffentlich-privaten Raumes sind, „Wohnzimmer“, wie ein Mitsänger es trefflich nannte, mit kuscheligen Sitzecken, Kinderspielzeug, liebevoll gehäkelten Kissen, und sogar eigens installierten Küchen, aus denen vor dem Gottesdienst oder einem Konzert Essen ausgereicht wird. Wo erlebt man in Deutschland, dass mitten im Kirchenschiff Stände rund um das Thema “ Ökologisch leben“ aufgebaut werden?
Die Church of England geht neue Wege. Jüngst hat sie einen ehemaligen Nachtklub oberhalb des Bradforder Rathausplatzes angekauft, um ihn zu einer Kirche umzugestalten. Vertraut den neuen Wegen.