Gedanken von Anne Rademacher
Bei unserer Konzertreise waren wir bereits in verschiedenen Kirchen zu Gast und was wir außer Begegnungen und viel Musik erlebten, verdient Beachtung. Ein erster Eindruck: wir kommen jeweils in das Wohnzimmer der Gemeinde: immer beheizt, immer teetrinkende Menschen, immer hell, immer willkommen. Gestern in der Bradford Cathedral: am Anfang der Probe eine Tafel mit frühstückenden Menschen, halb eins dann Lunch-Buffet für 4 Pfund und dann unser Konzert um eins mit den Leuten, die größtenteils gerade davor noch am Buffet gestanden hatten. Da waren ältere Leute, Gehandicapte (weil das der Plan ist und nicht wegen Förderprogrammen sind die Kirchen wohl barrierefrei), etwas abgerissene Gestalten und mittendrin die Kleriker, verschiedene Ehrenamtliche und wir. Auf Nachfrage sagt mir Reverend Jerry Lepine: Vor 500 Jahren seien die Kathedralen schließlich die einzigen öffentlichen Orte gewesen, seit einigen Jahren versuchen sie wieder, die Räume zu öffnen. Das passt zu dem, was er am Sonntag in der Predigt sagte, dass abgeschlossene Räume der „Kuss des Todes für die Kirche seien“.
Gegensätzlich dazu – so könnte man sagen – läuft die Liturgie. Da gibt es an 4 Tagen die Woche den Evensong, zu dem außer uns kaum Gemeinde erschien. Und das bestätigen die Musiker: Ja, manchmal seien nur der Chor und die Kleriker anwesend. Dennoch singen sie jedes Mal. Schließlich sei es für Gott. Und sie singen – das muss gesagt sein – in einer Qualität, an die nur wenige unserer Konzerte herankommen.
Sie verstehen es nicht nur, die einzuladen, die sonst keiner haben will, sondern auch ihre Liturgie in der Hochform zu feiern und ihre Traditionen zu erhalten. Das Wunderbare daran: es geht. Und beides trifft sich. Selten habe ich so ehrliche und berührende Fürbittgebete erlebt. Die Worte gleichen sich in jedem Gottesdienst und doch sind es keine Formeln, sondern nehmen die Sorgen derer, die ihre Räume nutzen und die Nöte der sie umgebenden Stadt mit hinein. Das ist auch ihr Anspruch: eine Institution zu sein, die eine gesellschaftliche Aufgabe hat, die verantwortlich für ihre Stadt ist. Da bleibt mir nur den Hut zu ziehen und zu sagen: Thankyou for your warmly welcome!